Robert Koch Institut: Die gesundheitliche Lage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist heute so gut wie nie – jedoch nur eine Verschiebung des Krankheitsspektrums
Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Daten aus dem bundesweit repräsentativen Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)
Hintergrund: Die gesundheitliche Lage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist heute so gut wie nie. Zu verdanken ist dies in erster Linie dem sozialen und medizinischen Fortschritt. Dieser hat jedoch auch eine Verschiebung des Krankheitsspektrums von den akuten zu den chronischen Erkrankungen sowie von den somatischen zu den psychischen Gesundheitsstörungen mich sich gebracht. Diese als „Neue Morbidität“ diskutierte Verschiebung des Krankheitsspektrums zeigt sich in Form „neuer Kinderkrankheiten“ auch bei Kindern und Jugendlichen. Bislang existierten für Deutschland für eine Vielzahl von Gesundheitsproblemen keine vergleichbaren und auf der Basis einer umfassenden Stichprobe bundesweit repräsentativ erhobenen Daten für das Kindes- und Jugendalter. Mit dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey KiGGS, der vom Robert Koch-Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit von 2003-2006 in 167 repräsentativ ausgewählten Städten und Gemeinden in Deutschland durchgeführt wurde, ist diese Informationslücke nun geschlossen worden.
Methodik: Im KiGGS wurden 17641 Kinder und Jugendliche im Alter von 0-17 Jahren körperlich untersucht und ihre Eltern, ab elf Jahren auch die Kinder und Jugendlichen selbst, schriftlich befragt. Auf freiwilliger Basis erfolgte außerdem eine Blut- und Urinuntersuchung. Angaben zu körperlichen Krankheiten wurden im Fragebogen für Eltern und Jugendliche sowie über das CAPI (= Computer Assisted Personal Interview) durch den untersuchenden Arzt erhoben. Informationen zur psychischen Gesundheit und zum Gesundheitsverhalten wurden mit validierten Screeninginstrumenten (z.B. SDQ, SCOFF) und standardisierten, getesteten Fragebogenverfahren erhoben.
Ergebnisse: Mit 13,3% (Lebenszeitprävalenz) war chronische obstruktive Bronchitis die häufigste chronische Erkrankung in KiGGS, gefolgt von atopischen Erkrankungen Neurodermitis, Heuschnupfen, Asthma. 22,9% der Kinder und Jugendlichen hatten jemals in ihrem Leben eine dieser drei Erkrankungen. Übergewicht tritt gegenüber den nationalen Referenzdaten von 1985-1999 zu 50% häufiger auf. Besonders betroffen waren Kinder aus der unteren Sozialschicht. Impflücken ließen sich sich vor allem bei Migranten feststellen, jedoch zeigt sich auch allgemein eine unzureichende Umsetzung der Impfempfehlungen zu einer zweiten MMR-Impfungen, Auffrischungsimpfungen gegen Tetanus und Diphterie sowie zu Nachholimpfungen gegen Hepatitis B bzw. Pertussis bei älteren Jugendlichen. 14,7% der Kinder und Jugendlichen (3-17 Jahre) zeigten Hinweise auf psychische Auffälligkeiten. Bei 4,8% wurde schon einmal ADHS diagnostiziert. 21,9% zeigten Symptome von Essstörungen. Alle Auffälligkeiten wiesen einen sozialen Gradienten zuungunsten der unteren Sozialschicht auf. Gewaltbelastungen berichteten vor allem Hauptschüler (als Täter) und Gesamtschüler (als Opfer und Täter/Opfer). Personale, familiäre und soziale Ressourcen waren bei Kindern und Jugendlichen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus geringer, Tendenzen zu gesundheitlichem Risikoverhalten wie Alkohol-, Tabak- oder hohem Medienkonsum hingegen stärker ausgeprägt als bei Kindern aus Familien mit hohem Sozialstatus.
Diskussion: Chronische Erkrankungen sowie Hinweise auf psychische Gesundheitsstörungen nehmen auch nach den KiGGS-Ergebnissen einen breiten Raum im Morbiditätsspektrum von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ein. Im Zeitalter zunehmender geographischer Mobilität, Resistenzbildungen gegen Antibiotika und Impfmüdigkeit sind auch Infektionskrankheiten weiterhin von Bedeutung. Da KiGGS in der Ersterhebung als Querschnittsstudie konzipiert ist, lassen sich aus den Daten weder Trends noch Prognosen ableiten. Diese werden sich jedoch zukünftig mit der Überführung von KiGGS in eine Kohortenstudie im Rahmen des Gesundheitsmonitorings am Robert Koch-Institut untersuchen lassen. Konsequenzen der Ergebnisse werden mit Blick auf das Setting Schule diskutiert.
Schlack R, Kurth BM, Hölling H (2008), Umweltmed. Forsch. Praxis 13 (4): 245-260